September 23, 2009

Ulrich Behl (4)

Ulrich Behl (* 1939 in Arnswalde) ist Zeichner, Grafiker und Objektkünstler. Er ist einer der profiliertesten Vertreter der Konkreten Kunst. Der nachfolgende Text sowie die vorangegangenen Posts geben anlässlich des 70. Geburtstags einen Überblick über sein Werk.

WERKÜBERSICHT
Seit 1965 wurde die Handzeichnung Behls bevorzugtes künstlerisches Medium. Seit 1967 befasste er sich dann auch in der Druckgraphik – vorwiegend in der Lithographie – mit dem Phänomen Licht. Sein Studium bei Raimund Girke seit 1967 an der Werkkunstschule Hannover führte ihn zur Beschäftigung mit der Farbe Weiß, auch in der Nachfolge der Gruppe ZERO, die sich in diesem Jahr auflöste, und unter dem Einfluss der holländischen Gruppe Nul mit Jan Schoonhoven. Jedoch liegen ihm die mit Lampen, Spiegeln und Prismen erzeugten Lichteffekte bei Piene und Mack ebenso fern wie die starren Strukturen bei Schoonhoven und Uecker. Auch den strukturell undurchdringlichen weißen Farbräumen bei Girke zollt Behl allenfalls Respekt.

Seine Kunst kommt nach frühen Ausflügen in die Welt der Materialbilder von der Naturbeobachtung her. Seit 1967 zeichnete er Meeres- und Landschaftsstudien mit den Titeln „Maritimes“, „Maritime Abläufe“, „Bewölkungsauflockerung“, „Kleines Seestück“ oder „Verwehung“, von denen aus er schließlich zur Gestaltung serieller Strukturen und modularer Ordnungen gelangte. Anfang der siebziger Jahre überschritt er in unterschiedlichen Abstufungen die Grenze zum Ungegenständlichen und Geometrischen. In Zeichnungen und Graphiken mit Titeln wie „Lichtbewegung“ (1975), „Lichtfall“ (1975) und „Lichtspalt“ (1976) gab er Lichträume um hintereinander geschichtete Kegel oder durchscheinendes Licht hinter gedachten Schnitten im Papier wieder. Behl schrieb hierzu selbst: „Der unübersehbaren Fülle von Bildwelten und optischen Sinneseindrücken begegne ich mit selektivem Interesse an Erscheinungsformen von Wirklichkeit ... Meine Arbeit tendiert seit Jahren zum Seriellen und Konzeptionellen.“ Entsprechend interessieren ihn auch alle Arten von industriell gefertigten seriellen Strukturen wie Gitter, Lamellen, Jalousien um an ihnen die Verläufe des Lichts zu studieren.

Seit 1980 sind seine Zeichnungen ausschließlich geometrisch und immer in variierenden Serien angelegt, deren Titel prozesshaftes Gestalten („Prozess-Ordnung“, „Gefüge“, „Durchdringung“), Varianten aus fest definierten Grundelementen („Modulare Ordnungen“) oder musikalische Kompositionsprinzipien wiedergeben („Doppelakkord“, „Crescendo/Decrescendo“, „Abbreviaturen“). Er entwickelte ein Konzept serieller und modularer Ordnungen, das wesentlich von Bildstrukturen beeinflusst war, die Richard Paul Lohse in den vierziger und fünfziger Jahren erforscht hatte. Unter grundsätzlichem Ausschluss der Farbe (die bei Lohse die Hauptrolle spielte), übernahm Behl die Analyse vertikaler Strukturen als Basis serieller Systeme. Wesentliches Motiv wurden die Schnittpunkte von Diagonalen mit Horizontalen und Vertikalen, an denen sich die Brechungen des Lichts in Verläufen vom Weiß des Papiers zur tiefsten Schwärze des vom Bleistift aufgetragenen Graphits oder der Pigmentkonzentration von rotem und blauem Farbstift rhythmisch wiederholen. Er gestaltet die Anwesenheit von Licht (Weiß) oder das Fehlen von Licht (Schwarz) durch einen exakten, konzentrierten und langwierigen Auftrag der Zeichnung in unendlich vielen Strichlagen gegen die Unebenheiten des Büttenpapiers. Der Zeichenvorgang bewegt sich bei ihm zwischen den Extremen höchster Konzentration und stofflicher Verdichtung bis hin zum Schweben des Stifts über dem Zeichengrund. Diese konzentrierte Arbeit ist für ihn zugleich ein Erkenntnisprozess über das Wesen des Zeichnens.

Als Behl 1977 die Welt des Gegenständlichen, der „Maritimen Abläufe“, der „Lichtfilter“ und gebogenen Geflechte verließ und sich den Lichtverläufen an exakten geometrischen Strukturen zuwandte, wagte er sich damit zugleich in den Bereich der Konkreten Kunst vor, zu deren profiliertesten Vertretern er heute gehört. Max Bills Definition der Konkreten Kunst (1944) liefert den Schlüssel zum Verständnis für Behls Kunst: „Konkrete Kunst macht den ‚abstrakten Gedanken an sich’ mit rein künstlerischen Mitteln sichtbar und schafft zu diesem Zweck neue Gegenstände. Das Ziel der konkreten Kunst ist es, Gegenstände für den geistigen Gebrauch zu entwickeln.“ Der „abstrakte Gedanke an sich“ ist für Behl die Beschreibung des Lichts ohne die Schilderung einer Situation aus der Welt der realen Gegenstände.

„Gegenstände für den geistigen Gebrauch“ sind auch die bespannten Papierobjekte, die Behl seit 1980 entwickelte und die heute einen umfangreichen Teil seines Gesamtwerks ausmachen. Mithilfe leichter Holzgerüste, die er nach dem Vorbild des Flugzeugmodellbaus mit Papier bespannt, schafft er modular geordnete Systeme aus geometrischen Räumen, Schlitzen und Tunneln unterschiedlicher Tiefe, flach oder prismatisch vorspringend, auf einer Ebene oder hintereinander gestaffelt, die auf weiße Holztafeln montiert oder als Pyramide, asymmetrische Spindel oder an Brancusi erinnernde Säule freistehend und durchscheinend sind und in denen das Licht je nach der inneren Struktur in unterschiedlicher Stärke gefangen wird. Es sind Studien- oder „Schauobjekte“, wie Behl sie durchgehend nennt, an denen die Verläufe des Lichts in den Tiefenräumen, seine An- und Abwesenheit in unterschiedlichen Abstufungen studiert werden kann.

Darüber hinaus beschäftigte sich der Künstler mit dem Phänomen des Zufalls, als er Reihen von Lottozahlen in geometrische Systeme übertrug oder mit Graphit überzogene Tischtennisbälle gegen weiße Papierflächen spielte. Bei seinen Schwimmobjekten für den „Kleinen Kiel“ in der Schleswig-Holsteinischen Landeshauptstadt (1987) und für die Sonderschau ARTELAGUNA der Biennale von Venedig (1995) waren geometrische Körper Bewegungsmustern ausgesetzt, die durch die Natur vorgegebenen sind. In seiner Einzelausstellung anlässlich der Verleihung des Landeskunstschaupreises 2008 in Kiel zeigte der Künstler neue Gruppen von Zeichnungen und „Schauobjekten“, die einen ständigen Fluss von neuen Gestaltungsideen belegen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Behl