Axel Feuß:
AUSSTELLUNGS-ERÖFFNUNG
"BÉLA FARAGÓ - WILLKOMMEN IM PARADIES"
Kirche Maria Magdalena, Buchschwabach, 3.11.2013, 10 Uhr 30
Sehr verehrte Anwesende,
als
ich Béla Faragó im Sommer 1999, also vor mehr als vierzehn Jahren kennen
lernte, war er bereits seit über einem Jahrzehnt als gefragter und allseits
anerkannter Kirchenrestaurator tätig und verfügte in seiner Eigenschaft als
freier Künstler über ein beeindruckendes Werk an Gemälden und Zeichnungen. Wir
bereiteten damals am Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg eine
Einzelausstellung mit dem Künstler vor. Sie war der Anfang einer ansehnlichen
Liste von Ausstellungen Béla Faragós unter anderem in Erlangen und Worms, in
der Lorenzkirche in Nürnberg, der Surgical Academie in Rastatt, dem Domschatz-
und Diözesanmuseum in Eichstätt, zahlreichen Ausstellungen in der Galerie
Destillarta in Buchschwabach und 2007 mit der Ausstellung „Totentanz“ auch hier
bei Ihnen in der Kirche Maria Magdalena. Ausstellungen im Stadttheater Fürth,
im Krakauer Haus in Nürnberg, schließlich in Röthenbach an der Pegnitz, im
Zentrum St. Paul in Nürnberg und im Jüdischen Kulturzentrum in Krakau folgten. Vor
kurzem sind Béla Faragó und das Ehepaar Kreß von der Galerie Destillarta von
einer Ausstellungseröffnung in Kielce in Polen zurück gekommen.
Der
Liste von Ausstellungen schließt sich eine ebenso beeindruckende Reihe von
Kunstpreisen an, unter denen mehrfach Preise der Nürnberger Nachrichten waren. Ich
selbst habe das Glück, dass mir der Künstler über eineinhalb Jahrzehnte die
Treue gehalten und mich mit Einladungen und Fotos seiner neuesten Werke
versorgt hat, dass ich Ausstellungen von ihm in Nürnberg und Rastatt eröffnen
durfte und dass sich nach einigen Jahren Pause unsere Freundschaft anlässlich
des heutigen Ereignisses wie selbstverständlich erneuert hat, obwohl ich heute
im Norden der Republik, in meiner Heimatstadt Flensburg lebe, von wo ich Ihnen
beste Wünsche zum Gelingen der heutigen Ausstellung mitbringe.
Béla
Faragó, das soll für diejenigen unter Ihnen, meine Damen und Herren, die ihn
noch nicht kennen, nicht unerwähnt bleiben, kam 1980 aus Ungarn nach
Deutschland und begann im selben Jahr sein Studium an der Kunstakademie in
Nürnberg. 1981 bestand er die Aufnahmeprüfung an gleich drei großen deutschen
Akademien in Düsseldorf, Karlsruhe und Stuttgart und entschied sich dann für
ein Studium bei Georg Baselitz an der Kunstakademie in Karlsruhe und für ein
Studium der Bildrestaurierung an der Akademie in Stuttgart. 1986 schloss er
sein Studium in Nürnberg ab. Er war drei Jahre lang Dozent für Anatomie beim
Bildungszentrum der Stadt Nürnberg und arbeitet seit 1987 freischaffend als
Kirchenrestaurator sowie als Zeichner und Maler.
In
der Ausstellung in der Ostdeutschen Galerie in Regensburg konnten wir seinerzeit
noch große Ölbilder des Künstlers zeigen, in denen Schlittschuläufer und
Boxkämpfer die physischen und ethischen Belastungsgrenzen des Sports
aufzeigten, oder in denen offene oder versteckte Gewalt von Machtmenschen und
sogenannten „Stützen der Gesellschaft“ das Thema waren. In einem in Worms
geschaffenen Altarbild, das sich heute in einer Privatsammlung befindet, stehen
Uniformierte in langen Ledermänteln im Vordergrund des Bildes, die eine
protestierende Menschenmenge in Schach halten. Während des letzten Jahrzehnts
ist Faragó jedoch vor allem als kritischer und teilweise satirischer Zeichner
hervorgetreten, der neben den bereits erwähnten Themen und kritischen
Betrachtungen zu unserer modernen Gesellschaft auch zahlreiche religiöse Stoffe
wie Kreuzwegstationen, den Totentanz und die Sieben Todsünden in teilweise
drastisch freizügigen Darstellungen und heute mit einem Zyklus von 34 kritischen
und teilweise satirischen Zeichnungen zum Thema Kirche und Religion unter dem
Thema „Willkommen im Paradies“ bearbeitet hat. Er ist dabei ausgesprochen
häufig von Kirchengemeinden unter anderem in Worms, Nürnberg, Rednitzhembach,
Röthenbach an der Pegnitz und hier bei Ihnen in Buchschwabach und von
kirchlichen bzw. religiösen Institutionen wie dem Domschatz- und Diözesanmuseum
in Eichstätt oder der Jüdischen Stiftung in Krakau eingeladen worden.
Manche
von Ihnen, meine Damen und Herren, werden sich fragen, was kritische und
satirische Themen, Darstellungen von Gewalt und offener Sexualität überhaupt in
kirchlichen Räumen zu suchen haben; denn nicht immer stoßen Faragós Zumutungen
an die Betrachter auf Wohlwollen. Seine Allegorie der Wolllust in dem
Bildzyklus über die Sieben Todsünden erregte im März 2010 aufgrund der offenen
Darstellung von Sexualität Unmut in einer Gemeinde in Erlangen, woraufhin das
betreffende Bild zumindest während des Gottesdienstes verhängt werden musste.
Um zu einer Antwort auf diese Frage zu kommen, möchte ich die Frage erweitern: Was
haben Bilder überhaupt in Kirchenräumen zu suchen?
Richtig,
sie dienen dem Schmuck der Kirche, der Einkehr und der inneren Andacht. Im
Mittelalter jedoch, einer Zeit, aus der viele unserer kostbarsten Zeugnisse
christlicher Kunst stammen, dienten die großen Wandelaltäre mit ihren gemalten
und geschnitzten Bildzyklen, die zahlreichen Altäre in den Seitenkapellen der
Kirchen, die Kreuzwege und die Bilder von Märtyrern und Heiligen ebenso wie die
großen farbigen Kirchenfenster der christlichen Unterweisung der einfachen
Menschen, die weder lesen noch schreiben konnten, die keinen Zugang zum
Bibeltext hatten, weil dieser auf Lateinisch geschrieben war und die auch weite
Teile der lateinischen Liturgie nicht verstehen konnten. Bilder waren Kommunikationsmittel,
um die christliche Botschaft und die Heiligenlegenden an das einfache Volk zu
vermitteln. Mit Martin Luther, der gegen den Ablasshandel wetterte, die Bibel
ins Deutsche übersetzte und die Deutsche Messe einführte, hielt die Kritik an der
Kirche auch Einzug in die Kunst, wurden die bildlichen Darstellungen
drastischer. Hans Holbein der Jüngere aus Augsburg zeichnete Papst Klemens, wie
er über einer Versammlung von Ablasshändlern thront. Meister Dürer aus
Nürnberg, der kurz zuvor noch geschrieben hatte, dass „die Kunst allein der
Kirche gehöre“, zeichnete 1514 das Bildnis seiner Mutter, das durch die
drastische Darstellung des Alters zu einem der anrührendsten Werke der
deutschen Kunst geworden ist, aber auch den Kopf eines Apostels für den
Heller-Altar, bei dem er durch die tiefe Hässlichkeit eines alten Mannes aus
dem Volk das Leben der einfachen Leute in die christliche Kunst zu holen
suchte.
Denken
Sie an die Monster und Dämonen, die auf dem Isenheimer Altar des aus Würzburg
stammenden Malers Matthias Grünewald den heiligen Antonius quälen, an den von
Hans Holbein dem Älteren gemalten
Leichnam Christi im Grabe, der wie auf dem Steintisch eines Leichenschauhauses
daliegt, an die brutalen und in Gemeinheit verzerrten Gesichter der Henkersknechte
und der sich mit ihnen verbündenden einfachen Leute aus dem Volk auf den
zahlreichen Altartafeln der Dürer- und Luther-Zeit, die die Verspottung, die
Geißelung, die Dornenkrönung und die Kreuztragung Christi zum Inhalt haben -
alles Motive, die die Gläubigen der Zeit zutiefst erschreckt und verstört haben
dürften. Diese Bilder der Meister aus Franken, Altbayern und vom Niederrhein,
die wir uns bei einem Gang in die entsprechenden Abteilungen des Germanischen
Nationalmuseums in Nürnberg wieder vor Augen führen können, dienten nicht der Einkehr
und der inneren Andacht sondern der dringlichen Ermahnung, die Gründe für das
Leiden Christi auch um uns herum, im Alltag der Herrschenden ebenso wie im
täglichen Leben der einfachen Leute zu suchen und zu finden.
Vollständige
Nacktheit von einzelnen großen Figuren und ganzen Figurengruppen führte ab 1520
der aus Kronach stammende Maler Lukas Cranach bei seinen berühmt gewordenen
Bildern „Venus und Amor als Honigdieb“ (ebenfalls im Germanischen
Nationalmuseum) und „Das Ende des silbernen Zeitalters“ (in der Nationalgalerie
in London) ein. Ab 1600 wird das Nackte für fast zweihundert Jahre zum
eigentlichen Skandalthema in der Kunst. In Darstellungen des Höllensturzes und
der Sintflut und bei der Figur des Heiligen Sebastian können die Maler fast
vollständige Nacktheit auch in christlichen Themen einführen. Gerade die großen
Künstler wie Lorenzo Bernini oder Giovanni Battista Tiepolo, der Maler der
Würzburger Residenz, ließen sich von skandalträchtigen Darstellungen nicht
abhalten, worauf die Öffentlichkeit entsprechend reagierte. Erst um 1800 war mit
der Romantik und den frommen Malern aus dem Kreis der Nazarener Schluss mit
allen Skandalen. Seitdem sind christliche Darstellungen im Ausdruck verhalten,
züchtig und verhüllt - ein radikaler Wandel im Zeitgeschmack, der sich bis
heute in unserer Auffassung von kirchlicher Malerei erhalten hat. Statt dessen
entwickelten sich in England außerhalb von Kirche, Staat und fürstlichen
Auftraggebern Ende des 18. Jahrhunderts Formen der kritischen Zeichnung und der
Karikatur, die das ganze 19. Jahrhundert hindurch lebendig blieben. Um 1900 füllten
sie in satirischen Zeitschriften wie der „Jugend“ und dem „Simplicissimus“
ganze Jahrgangsbände und haben sich bis heute in ihrer Form ebenfalls kaum
verändert.
Béla
Faragó, meine Damen und Herren, kennt sich in der Kunstgeschichte zu gut aus,
als dass er sich auf bestimmte Vorbilder festlegen ließe. Früh hat er seinen
eigenen Stil gefunden und auch Einflüsse von zeitgenössischen Künstlern wie
Georg Baselitz und Francis Bacon hinter sich gelassen. Gleichwohl greift er in
der Drastik seiner Darstellung Traditionen der Malerei seit der Renaissance auf,
erinnert sogar im kleineren Format seiner Zeichnungen im nervösen Zeichenstil
und der Leichtigkeit der Komposition an Meister des 18. Jahrhunderts wie
Tiepolo und Francesco Guardi, dessen Vater Giovanni Antonio Guardi er besonders
schätzt. Nicht nur durch sein Kunststudium und seine Tätigkeit als Restaurator
von Deckengemälden der großen Meister, sondern vor allem durch sein Talent war
er seit jeher in der Lage, jedes Tier, jede Figur und jede Komposition ohne
Vorlage und frei aus der Erinnerung zu zeichnen.
Sein
neuer Zyklus zum Thema Religion und Glauben mit dem Titel „Willkommen im
Paradies“ fügt sich nahtlos in die Reihe
von Ausstellungen des Künstlers in kirchlichen Räumen ein, wo Gemeinden dem
kritischen Blick auf Gesellschaft und Religion offen gegenüberstehen - auch
wenn sie wissen, dass man Zustimmung zu jedem einzelnen Bild natürlich nicht einfordern
kann. Der Künstler hat das Thema Religion und Glauben nicht enzyklopädisch
abgearbeitet, sondern sich auf spontane Eingebungen und gemachte Erfahrungen
verlassen. Angesichts der aktuell in den Medien geführten Diskussion über den
Zustand von Kirche, Religion und Glauben hätten wir ganz andere satirische
Bilder erwarten können. Doch der Künstler hat sich von der Tagesaktualität frei
gemacht und führt uns in seine eigene Gedanken- und Erfahrungswelt ein, die
nicht ausschließlich kritisch ist, sondern häufig nur die Vielfalt der
Erscheinungen, die eigenartige, bunte Welt des Religiösen beschreibt.
Faragós
„Paradies“ (Sie sehen einen Ausschnitt auf der Einladungskarte), das ist im
klassischen Sinn ein blühender Garten mit Bäumen, Früchten, dem Lebensbaum und
dem Baum der Erkenntnis, so wie ihn schon Fra Angelico und Hieronymus Bosch
gesehen haben. Tiere, die sich sonst bekämpfen, Giraffe und Schlange, Hirsch
und Löwe, Kuh und Dinosaurier, vergnügen sich friedlich miteinander. Doch jetzt
bekommt die Szene Faragós Zuschnitt: auch Religionen, die sich sonst feindlich
gegenüber stehen, versöhnen sich im Paradies. Ein Bischof und ein Mullah
reichen sich als Zeichen der Verbundenheit gegenseitig ihre Herzen (auf der
Einladungskarte sehen sie das links unten), tanzen gemeinsam mit ihrem
jüdischen Amtsbruder einen fröhlichen Reigen und legen dann zusammen eine
friedliche Ruhezeit ein. Die Bäume hängen voller Braten, Geldscheine,
Bildschirme und Automobile und repräsentieren so die am Konsum orientierte neuzeitliche
Auffassung von Paradies.
„Endlich
ein Wegweiser“ stellt der Künstler auf einem anderen Blatt fest und zeigt einen
Religionsführer, der mit ausgebreiteten Armen eine diffuse Masse von Gläubigen
in unterschiedliche Richtungen schickt. Jeder Angehörige einer Religion würde
dies weit von sich weisen. Doch Faragó lässt offen, um welchen Propheten es
sich hier handelt, denn „Jeder denkt, er hat die beste Religion“, und deren
Vertreter bewegen sich auf einem anderen Bild in unterschiedlichem Kostüm und
auf unsicheren Stelzen in verschiedene Richtungen. Bei diesen Blättern wird
deutlich, was die kritische Zeichnung, die sich in enger Beziehung zur
Karikatur bewegt, leistet: Sie bezieht Stellung, aber sie indoktriniert nicht.
Sie regt zur Auseinandersetzung an, aber stellt nicht bloß. Sie erregt
Zustimmung oder Widerspruch und eröffnet damit die Diskussion.
Eher in den Bereich von Karikatur und
Zeitkritik gehören Blätter, in denen Manager den Gott Mammon, ein aus
Geldscheinen gebildetes Götzenbild, an Stricken durch die Welt ziehen, von
denen sie selbst erwürgt werden. Hier wird nicht Religion kritisiert; sondern Geldsucht
und Gier werden als neue Form der Religion aufs Korn genommen. Andere rutschen
auf Knien in religiöser Wallfahrt dem Automobil als neuem „Gottesersatz“
entgegen. Prozessionen, eben noch als Ritual für die Verehrung neuzeitlicher
Konsumgüter umgedeutet, interessieren den Künstler auch in ihrer ursprünglichen
Form. Extreme Erscheinungen fand er in einer Pilgerfahrt der indianischen
Bevölkerung der peruanischen Anden und im spanischen Sevilla, wo ihn die Umzüge
der mit Kutten und Kapuzen verhüllten Mitglieder religiöser Orden faszinierten.
Parallelen zu verhüllten Gläubigen sah der Künstler auch in anderen Kulturen,
bei vermummten islamischen Gotteskämpfern ebenso wie bei Anhängern des
Klu-Klux-Klans, die sich mit Kutten und Kapuzen vor brennenden Kreuzen
versammeln.
Zustandsbeschreibung oder
Zivilisationskritik? Faragós „Krippenbilder“ aus Afrika, Nordamerika und Europa
zeigen, wie verschiedene Kulturen ihr religiöses Weltbild der eigenen
Wirklichkeit anpassen. Im Fall von Europa sind nicht nur das Jesuskind sondern
auch andere Details der Krippenszene durch Symbole des Konsums wie Autos,
Kreditkarten und Computer ersetzt. „Karikaturen“, so schrieb der berühmte
Kulturhistoriker Aby Warburg am Anfang des 20. Jahrhunderts, „sind
Auffangsorgane des inneren und äußeren Lebens.“ Dies gilt für Faragós kritische
oder auch nur überspitzt beschreibende Zeichnungen des Religiösen, in denen
sich Volksfrömmigkeit, Glaubenswahrheit und Zivilisationskritik mischen,
ebenso. Auch dieser Zyklus von Zeichnungen zu Religion und Glauben enthält
Zumutungen an den Betrachter, die die Grenze des Zumutbaren gelegentlich
absichtlich überschreiten. Aber schauen Sie selbst, meine Damen und Herren. An
einigen Bildern werden sicher auch Sie Ihre helle Freude haben.