BIOGRAPHIE
Roland Schefferski wurde 1956 in Kattowitz/Katowice in Polen geboren. Von 1971 bis 1976 besuchte er das Gymnasium für Bildende Künste in Breslau/Wrocław, Polen. Anschließend studierte von 1976 bis 1981 Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste (jetzt Akademie der Bildenden Künste) in Breslau. 1984 siedelte er nach West-Berlin über. 1989 gründete er im Rahmen eines eigenen Kunstprojekts das bis 1991 bestehende Kunstmagazin WEAST, dessen Mitherausgeber er war und das internationale Beachtung fand (u.a. in der Sammlung des Museum of Modern Art, New York). 1986 erhielt er den Ersten Preis der Internationalen Ausstellung für Miniaturkunst in Toronto, 2000 den Lovis-Corinth-Förderpreis der Künstlergilde Esslingen. Schefferski lebt und arbeitet in Berlin.
WERKÜBERSICHT
Schefferski arbeitete anfangs als Maler, Zeichner und Bildhauer. Zu Beginn der achtziger Jahre wandte er sich der Objektkunst zu und konzentrierte sich schließlich auf Environments und Installationen. Darüber hinaus bewegt er sich in parallel realisierten Aktionen und Interventionen im Bereich verschiedener Medien und passt seine Konzepte an die Spezifik der Orte an, an denen er seine Arbeiten präsentiert. Sein künstlerisches Interesse gilt eher dem Prozess als der Produktion. Schefferski interessiert die Idee einer übergreifenden, an jedem Ort realisierbaren Kunst. Er setzt Kunst als Mittel der Kommunikation ein und lässt sie außerhalb ihrer herkömmlichen Orte als temporäre, unerwartete Eingriffe im Grenzbereich zum Alltag stattfinden. Diese Eingriffe erscheinen im alltäglichen Kontext beiläufig und marginal, entfalten dadurch aber ihre subtile künstlerische Wirkung.
Noch während seines Studiums begann er sich für „marginale Aktivitäten“ im öffentlichen Raum zu interessieren. Schefferski beteiligte sich am Zusammentragen von Gegenständen, die von Benutzern einer Telefonzelle (1981-1983) als Spuren alltäglicher Aktivität hinterlassen wurden, und dokumentierte diese. Alleine oder unter Beteiligung anderer schuf er ähnliche prozesshaften Arbeiten wie Space Identification (1981-1984) oder Unity and Duality (1983-1985) und die Türinstallation an einer Berliner Galerie (1988-90). Die Aktionen zur Spurensicherung erhielten den Oberbegriff Registration of a Thrown-away Reality. Unter diesem Titel fand auch seine erste Einzelausstellung in Toronto statt. Nach den in der ersten Hälfte der achtziger Jahre entstandenen Collagen, Objekten und Assemblagen schuf er eine Serie von Schattenreliefs auf der Basis menschlicher Schatten-Umrisse (1987-1990).
Seit Anfang der neunziger Jahre beschäftigt er sich mit sorgfältig ausgesuchten Objekten des täglichen Lebens, die ihm als Auslöser für Erinnerung und Assoziationen dienen, entkleidet sie von allen erzählerischen Details, schneidet Teile aus ihnen heraus und provoziert so neue Denkprozesse. Durch ihre partielle Zerstörung und Entfremdung bietet er sie dem Betrachter als Bausteine des kollektiven Gedächtnisses an. Mit der Installation Wiedergewonnen aus dem Gedächtnis begann Schefferski 1993 einen neuen Werkzyklus mit dem Titel Sedimente. Dabei bewahrte er in verschiedenen Objektinstallationen fragmentierte Porzellan- oder Fayencescheiben mit eingebrannten Fotografien in wassergefüllten Behältern auf. Die zerbrochenen Fotos erinnerten an Reliquien oder biologische Präparate, die vor weiterer Zerstörung geschützt und für kommende Generationen „aufbewahrt“ werden sollen. Identität, vergessene Spuren und Bildsymbole der Geschichte gehören damit zu den wichtigsten Motiven seiner Kunst. Es entsteht eine Atmosphäre der Reflexion, Einfachheit und Stille. Viele seiner Arbeiten richten sich an die Sensibilität des Betrachters und lösen Emotionen aus. „Indem er die Dinge auswählt, dem Abfall und der gesellschaftlichen Missachtung entreißt, macht er sie auch für andere sichtbar, befreit sie aus ihrem Objektstatus und macht sie wieder zu Subjekten.“ (Eckhart Gillen)
In dem Werkzyklus der Ausgelöschten Bilder thematisierte Schefferski 1997-98 den Verdrängungsprozess, der in Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus stattfand. Angesammelte Gegenstände in einem Trödelladen wurden zu stummen Resultaten der Vergangenheit, die nur das Bewusstsein wieder aktivieren kann. Aus alten Fotografien entfernte Schefferski die Motive, deren Inhalte er auf einen schmalen verbleibenden Rand reduzierte. Ähnlich verfuhr er in dem Werk Proletaryat (1998) mit alten polnischen Geldscheinen und im Jahr 2000 in Warschau mit Plakaten in seiner Werbekampagne für Berlin. Mit fünfzig Plakatwänden, die er in Warschau aufstellen ließ, lud er die Betrachter dazu ein, ihre Vorurteile gegenüber den Deutschen zu revidieren und ihre inneren Vorstellungen durch neue erfahrbare Bilder zu ersetzen. Jedes der großformatigen Plakate, auf denen nur die Ränder offizieller PR-Bilder der deutschen Hauptstadt stehen blieben, trug die Überschrift Mach Dir Dein eigenes Bild von Berlin. „ … da ist, in einem allgemeineren Sinne, die Dialektik von Kunst und Leben, die im Werk ihren Gegensatz ausspielt oder zur Synthese drängt; selbstverständlich kommt hinzu, dass diese Kunst den Betrachter als aktiven Partner sucht, dessen Imagination und Mitdenken unmittelbar aktiviert werden sollen …“ (Michael Haerdter)
Die erste Arbeit aus dem ebenfalls 2000 begonnenen Zyklus Empty Images wurde nach der Zeitungsvorlage Los Angeles Times, Friday, August 4, 2000 benannt. In den folgenden Arbeiten schnitt Schefferski Fotografien aus Zeitungen heraus und ließ als Spur nur einen farbigen Rand zurück. Das Medium der Zeitung wurde so „zu einer der Realität entnommenen Probe, die feinen Eingriffen unterzogen wird, um die unklare Situation zwischen den von den Medien oder der visuellen Kultur vorgegebenen Bildern und unserer eigenen Fähigkeit, Vorstellungen zu bilden, zu reflektieren.“ (Mirosława Moszkowicz) Es interessiert ihn, wie Fotografien und mediale Bilder unsere Welt konstruieren und welchen Sinn sie ihr geben. Schefferski demontiert unsere Sichtweise der Realität und stellt uns auf die Probe, indem er fragt, ob wir noch in der Lage sind, uns ein eigenes Bild von der Welt zu machen.
Kunst, die sich aus dem Kontext ihrer jeweiligen Umgebung heraus definiert, schuf Schefferski mit dem Werkzyklus aus Kleidungsstücken unter dem Titel Berliner (2000-2009). Im Zentrum für Zeitgenössische Kunst im Ujazdowski-Schloss in Warschau lud er die Besucher der Ausstellung Artpool Berlin dazu ein, in der Garderobe die eigene Oberbekleidung gegen Jacken, Sakkos und Mäntel einzutauschen, die er selbst „markiert“ hatte, und mit ihnen diverse im Kunstzentrum stattfindende Ausstellungen zu besichtigen. Diese Kleidungsstücke hatte der Künstler durch das Aufbringen gezeichneter und gestickter Silhouetten real existierender Personen aus Berlin zu Trägern einer emotionalen Mitteilung umgewandelt. Im Unterschied zu ähnlichen, aber statischen Kleidungsarbeiten der neunziger Jahre (Alicjas Mantel, 1992), kam es nun zu einer symbolischen Interaktion zwischen den Personen, die die Kleidung trugen und den in den Silhouetten porträtierten Menschen. „Indem er die begriffliche Tragfähigkeit der Kunst erprobt, reduziert Schefferski diese zugleich auf eine bloße Spur ... Das Oszillieren des Künstlers zwischen Kunst und Leben gerät hier zu einem Kampf um die Idee der Kunst: nicht mehr als Kunstwerk soll Kunst gedacht werden, sondern als Idee, die potenziell in jedem Ding steckt ...“ (Beata Frydryczak)
Schefferskis Experimente der achtziger Jahre im öffentlichen Raum inspirierten ihn während des vergangenen Jahrzehnts immer häufiger, seine Werke außerhalb des institutionellen Kunstbetriebs anzusiedeln. Das führte dazu, dass seine Arbeiten mitunter nicht als Kunst wahrgenommen wurden oder sogar für Empörung sorgten, weil sie der gängigen Vorstellung von Kunst nicht entsprachen. So bestand das 1999 realisierte Projekt Bildertausch lediglich darin, den jeweiligen „Wandschmuck“ aus der Wohnung einer Polin in Słubice gegen Bilder, Fotografien und Plakate einer Deutschen in Frankfurt/Oder auszutauschen. Mit diesem Eingriff in die persönliche Sphäre stellte er beide Frauen auf die Probe und ließ sie in den eigenen vier Wänden „das Fremde“ ertragen. Diese Intervention erwies sich als radikal und rief heftige Reaktionen hervor. 1997/98 gab der Künstler einige seiner Arbeiten in einem Berliner Secondhand Shop, 1998 in einem Danziger Antiquitätengeschäft in Kommission und verwischte damit endgültig die Grenze zwischen Museal-Historischem und zeitgenössischer Kunst, zwischen verkäuflichem Kunstobjekt und intellektueller Einmischung. Absichtlich „verlor“ er (2005) bei Spaziergängen an der deutsch-polnischen Grenze bei Frankfurt/Oder und Słubice und in der Innenstadt von Warschau (2009) speziell zu diesem Anlass geprägte Münzen, um bei den Findern ein Gefühl der Verunsicherung über den vermeintlich wertvollen Fund auszulösen. Wichtig waren dabei jedoch nicht die Münzen selbst, sondern die auf ihnen befindlichen Botschaften: Das betrifft dich (2005) und (Money) isn´t everything? (2009/10, vgl. www.videopunkt.org/rolla.mov).
Seit 1998 lädt der Künstler Passanten zur Teilnahme an von ihm spontan organisierten Gesprächen ein, unter anderem auf einem Donauschiff am ehemaligen Grenzübergang in Štúrovo-Esztergom (2002) oder auf einer Straße in Berlin-Neukölln (2006). Er installierte seine Arbeiten in gläsernen Fahrstühlen, Wohnungen, Läden, aber auch in freier Natur in Schloss-, Bauern- und Schrebergärten (Brandenburg 2006, 2008, 2009). Für Schefferski stellt sich damit immer wieder aufs Neue die Frage, ob seine Kunst für sich selbst stehen und in einen Dialog mit einer Welt treten kann, die voller Geschichten, Erwartungen und Projektionen ist. Sein Grenzgängertum zwischen der Welt der Kunst und den Schauplätzen des täglichen Lebens mit ihrer persönlichen und menschlichen Ebene ist für ihn zum zentralen Aspekt seiner künstlerischen Arbeit geworden. Er ist auf der Suche nach Antworten darauf, was den Zustand unserer „Realität“ ausmacht, und auf der Suche nach der Beziehung der Kunst zu dieser Realität.
http://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Schefferski
January 06, 2010
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